Es war einmal, es war einmal – nein, das können wir schon ganz genau datieren: Am Sonntag, dem 13. Mai 1934, durfte der Restaurationsbetrieb Märchenwald aufgenommen werden. Dieses Datum gilt als „Geburtstag“ des Märchenwalds Bad Breisig (damals noch Niederbreisig).
Die Idee, in der Quellenstadt einen Märchenwald anzulegen, stammte vom Breisiger Heinrich Schwarz. Er machte seine Begeisterung für die Grimmschen Märchen zum Beruf und betrieb mit seiner Frau Traudchen sowie den Kindern Josef und Käthe die kleine Märchenwelt bis zu seinem Lebensende.
Seine Entscheidung für den Märchenwald gründete allerdings weniger auf feenstaubumwölkter Liebhaberei, sondern vielmehr auf pragmatischen Erwägungen, genauer auf der Abwendung drohender Existenznot. In den 1920er Jahren war Heinrich Schwarz als Gärtner bei einer Niederbreisiger Familie angestellt, der die Mittel zur Finanzierung eines eigenen Gärtners allmählich ausgingen. Um seine und die Versorgung seiner Familie zu gewährleisten, sann er auf eine alternative Erwerbsquelle. Warum nicht einen der damals populären Märchenwälder gründen – hier direkt am Mittelrhein? Und er wusste auch schon wo: Seine Frau besaß nämlich am Hang des Kesselbergs ein Waldgrundstück …
Ab Anfang der 1930er Jahre baute Heinrich Schwarz dort oben ein einfaches Wohnhaus (in dessen Erdgeschoss heute Kasse/Küche/ Kiosk untergebracht sind) mit einer Café-Terrasse davor/daneben.
Als Nächstes legte er den serpentinenartigen Weg an und verzierte ihn mit kleinen Brunnen, Blumenbeeten sowie allerlei Hinweisschildern.
Dann schuf Familie Schwarz die Märchenhäuser und stattete diese – dem jeweiligen Märchen entsprechend – mit Standuhren, Kinderwiegen, Öfen, Spinnrädern und passend eingekleideten Schaufensterpuppen aus. Zuletzt wurde das Waldcafé/Restaurant errichtet (das Gebäude dient heute als Werkstatt, vor dem sich der Spielplatz befindet). Damit war alles für das Publikum vorbereitet.
Die Eröffnung des Märchenwalds fiel in eine Zeit aufblühenden Fremdenverkehrs. Mit der Erbohrung der Marienquelle 1927 und der Errichtung des ersten Thermalschwimmbades sowie des Kurhauses 1928 stieg die Zahl der Kur- und Badegäste in Niederbreisig stetig an – von täglich 800 Gästen im August 1931 bis zu 1200 Gästen im August 1934. Viele dieser Gäste kamen per Schiff nach Breisig – und an der Anlegestelle erwartete sie bereits Heinrich Schwarz als „lebende Litfaßsäule“: Mit großformatigen Transparenten wie „Hohe Berge, sieben Zwerge, Schneewittchen im Busch, zum Märchenwald – husch, husch“ warb er für den Märchenwald und führte die angekommenen Passagiere persönlich zum Eingang des Märchenwalds, wo sie von seiner Frau im Kassenhäuschen begrüßt wurden.
Oben halfen die Kinder und je nach Gästeaufkommen weitere Verwandte bei der Bewirtung, während Heinrich Schwarz zum Rhein zurückkehrte und auf das nächste Personenschiff wartete.
Die liebevoll arrangierten Märchenhäuser und Spielereien wie die Wasserfontäne auf Knopfdruck (dort, wo sich heute der Froschkönig-„Brunnen“ befindet) sowie das von Heinrich Schwarz selbst gebaute handbetriebene Karussell hinter dem Café-Gebäude ließen den Märchenwald zu einer überregionalen Attraktion und einem beliebten Ausflugsziel werden, welches neben dem Kurbetrieb viel Publikum in die Quellenstadt zog.
Nicht zuletzt dank des Märchenwalds wurde die Köln-Düsseldorfer-Anlegestelle Niederbreisig eine der höchstfrequentierten am Mittelrhein.
Heinrich Schwarz’ Familienunternehmen gedieh prächtig. Ihm schwebte sogar vor, seine Gäste mit einer Zahnradbahn zum und auf den Kesselberg zu bringen. Diese Idee wurde jedoch nie realisiert. Dann kam der 2. Weltkrieg, in dessen Verlauf der Märchenwald schließen musste, u. a. auch deshalb, weil die Märchenhäuser von der notleidenden Bevölkerung restlos geplündert wurden.
Nach Kriegsende verstarb Heinrich Schwarz. Sein Sohn Josef – im Ort „de Schwazze Jupp“ genannt – baute den Märchenwald wieder auf und richtete die Hüttchen von neuem ein. Bekannt ist, dass seine Karnevalsprinzen-Uniform nach 1954 den Dornröschen-Prinzen kleidete. Unterstützt von seiner Frau Gertrude führte er das Unternehmen mit wechselnder Intensität bis zum Beginn der 1970er Jahre weiter.
Schwester Käthe kümmerte sich bis zu ihrer Heirat und ihrem Wegzug um das Café/Restaurant, dann übernahm dies – für einige Jahre – Elisabeth Thomas-Meyer. Dank des florierenden Rheintourismus’ in den 1950er Jahren erlebte der Märchenwald eine zweite Blütezeit. Wie in den 30er Jahren strömten Groß und Klein aus nah und fern zum Kesselberg, auch wenn Sohn Josef die Gäste nicht wie sein Vater in „Rattenfänger von Hameln“-Manier vom Rhein zum Märchenwald lockte.
Doch als Josef Schwarz anderweitig Arbeit angenommen hatte, betrieb er den Märchenwald nur noch nebenberuflich und mit nachlassendem Engagement – letzteres auch seinem schlechter werdenden Gesundheitszustand geschuldet.
Maßnahmen zur Instandhaltung wurden kaum noch ergriffen, die Besucherzahlen gingen zurück, lediglich an Sonntagen während der Sommermonate herrschte Hochbetrieb.
1972 erlag Josef Schwarz schließlich seinem Herzleiden, mangels Nachfolger wurde sein Märchenwald geschlossen und dem Verfall preisgegeben.
Mit dem Tod von Josef Schwarz endet die Geschichte des „Schwarz-Walds“, nicht jedoch die des Märchenwalds. Seit auf den Tag genau 35 Jahren, seit Samstag, 13. Mai 1989, steht das Märchenreich am Mittelrhein wieder allen offen.
Wie es zu dieser Wiederbelebung kam? Das haben wir im reich bebilderten Nachwort unseres Buches „Es war einmal … Märchen aus dem Märchenwald Bad Breisig“ dargelegt.
Wenn Sie unseren Märchenwald besuchen und beispielsweise vor dem Dornröschen stehen, dann halten Sie einmal einen Augenblick inne und machen Sie sich bewusst, dass Menschen bereits vor 90 Jahren genau an dieser Stelle und vor diesem Türmchen standen und das Dornröschen betrachtet haben.
Gehen Sie mit uns auf Zeitreise – wir freuen uns auf Ihren Besuch!
Quellen:
- Fabritius, Walter: Das war’s. Authentische Erinnerung aus dem langen Leben eines Breisiger Jungen. Eigenverlag 2019.
- Fabritius, Walter: Die Alten Breisiger. Plaudereien zur Geschichte der Quellenstadt: Der Märchenwald – ein altes Stück Breisig. In: Blick aktuell 2003.
- Kleinpass, Hans: Die Anfänge des Geyr-Sprudels in Bad Breisig. In: Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 1995. S. 95 – 99.
- Pollerberg, Dirk: Da kam ein Prinz aus Königswinter und löste den Wald aus seinem Zauberschlaf. In: Rhein-Zeitung vom 22. Mai 1986. S. 14.